Fragen und Antworten zum Hintergrund von "Die Lilie von Bela Vista"
Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Roman gekommen?
Sylvia Lott: Meist funkt es, wenn Recherchen mit etwas Privatem zusammentreffen. So war es auch bei „Die Lilie von Bela Vista“. Vor Jahren durfte ich als Journalistin für ein exklusives Magazin in Idar-Oberstein Schmuck- und Farbsteinexperten befragen, und darüber hinaus die Bearbeitung kostbarer Edelsteine in allen Produktionsschritten vom Rohstein bis zum perfekt geschliffenen Juwel beobachten. Bis dahin hatte ich mir nicht viel aus Schmuck gemacht. Bei diesem Besuch jedoch überkam mich mehrmals das Gefühl, in einer Schatzkammer aus Tausendundeiner Nacht zu stehen, und seitdem faszinieren mich besonders Farbedelsteine.
Ihre Entstehung über einen unvorstellbar langen Zeitraum beeindruckt mich ebenso wie das Abenteuer rund um das Suchen und Finden und die damit verbundenen menschlichen Schicksale. Genauso bewunderungswürdig wie die manchmal versteckte, manchmal schon auf den ersten Blick überwältigende Schönheit dieser Naturwunder ist das, was Handwerker oder Künstler daraus zu machen verstehen. Und die alten Mythen um Edelsteine finde ich ebenso spannend wie die philosophische Frage nach Wert und Bewertung.
In Idar-Oberstein hörte ich zum ersten Mal davon, dass in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts viele Menschen aus dem Hunsrück in den Süden Brasiliens ausgewandert sind und dass sie dort Achate, Amethyste und andere Edelsteine entdeckten. So entwickelten sich Geschäftsbeziehungen zwischen Brasilien und Idar-Oberstein, die bis heute gepflegt werden. Immer, wenn die Auswanderer auf (Geschäfts-) Besuch in der alten Heimat weilten, so erzählte mir eine der Schmuckexpertinnen augenzwinkernd, seien die Töchter im heiratsfähigen Alter besonders herausgeputzt und jede Menge Einladungen ausgesprochen worden. Diese Geschichte hatte sich wohl irgendwo bei mir im Hinterkopf festgesetzt.
Dann zog ich innerhalb Hamburgs um und bekam einen neuen, schon sehr alten Nachbarn – Rudolfo Sch. Er war fast neunzig, dafür erstaunlich fit und immer gut gelaunt, ein großer Mann mit blaugrauen Augen, dem man ansah, dass er ein stattlicher Kerl gewesen war. Nur konnte er seit einem Schlaganfall nicht mehr gut reden, je nach Tagesform reichte es für wenige Sätze oder einen Gruß. Wenn ich „Guten Tag“ sagte, korrigierte er mich, wie alle anderen Nachbarn oder Passanten, mit bom dia oder boa tarde, und wir mussten es stets wiederholen, bis es in seinen Ohren fehlerfrei klang. Es war ein nettes kleines Spiel, meist von viel Gelächter begleitet. In regelmäßigen Abständen klopfte Rudolfo Sch. an meine Tür, um mir zerknitterte Schwarz-Weiß-Fotos aus den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zu zeigen, die er immer bei sich trug. Ein Fachwerkhäuschen in einer Mittelgebirgslandschaft war darauf zu sehen, eine ernst blickende Bauernfamilie, die Frau mit Schürze über dem langen Rock, ein freundliches Kind, Zäune, Weiden, Kühe. Brasilien!, sagte er dann immer stolz. Da bin ich aufgewachsen.
Ich habe das damals nicht gleich richtig verstanden. Die Fotos hätten irgendwo mitten in Deutschland aufgenommen worden sein können. Hatte er als Kind ein paar Jahre in Brasilien verbracht? Erst nach einer Weile begriff ich, dass er einer der Nachfahren jener nach Brasilien ausgewanderten Deutschen war. Im Süden des Landes ist das Klima für Nordeuropäer verträglicher und auch die Landschaft vertrauter. Ich erinnerte mich an die Reportage in Idar-Oberstein, plötzlich machte es Klick, und ich hatte eine Idee.
Als ich dann auch noch herausfand, dass Idar und Oberstein (die erst 1933 mit mehreren Dörfern zur Stadt Idar-Oberstein vereinigt wurden) mehr als hundert Jahre lang als Teil der Exklave Fürstentum Birkenfeld zum Großherzogtum Oldenburg gehört hatten – meiner alten Heimat, in der auch das Ammerland liegt, wo mein Roman Die Rose von Darjeeling teilweise angesiedelt ist, da erschien es mir, na gut, nicht gerade wie ein Wink, doch wie ein Zwinkern des Schicksals, und es war klar, dass ich Die Lilie von Bela Vista unbedingt schreiben wollte.
Haben Sie eine Lieblingsszene?
Drei. Eine Lieblingsszene in „Die Lilie von Bela Vista“ nenne ich so für mich die „die Paradiesszene“ – wenn ich daran denke, sehe ich immer zuerst tief lilafarbene Amethyste und einen in die Lüfte steigenden Schwarm gelber Schmetterlinge vor mir. Diese Szene spielt 1834 in der Nähe eines großen Wasserfalls im Urwald von Rio Grande do Sul, im Süden Brasiliens. Die junge Sophie hat es aus Deutschland unter größten Strapazen und mit viel List und Charme bis hierher geschafft, sie ist mehrmals bis an ihre Grenzen gegangen, weil sie weiß, dass ihr verschollener Verlobter dringend ihre Hilfe braucht...
Eine andere Szene, die mich beim Schreiben sehr gefordert hat und heute noch beim Lesen atemlos macht, handelt von Sophies Flucht vor feindlichen Indios durch den Urwald.
Und in der Gegenwartshandlung ist meine Lieblingsszene diejenige, wo Rico, der die Hamburger Modedesignerin Josie tagsüber durch verschiedene Edelsteinminen von Minas Gerais geführt hat, im Mondschein vor einem alten Kloster durch sein Rufen einen Mähnenwolf herbeilockt.
Haben Sie eine Lieblingsfigur?
In „Die Lilie von Bela Vista“ ist es in der Vergangenheitserzählung natürlich die Heldin Sophie, die so mutig ist, anno 1833 ihrem Verlobten von Idar-Oberstein aus um die halbe Welt in die Wildnis von Brasilien hinterher zu reisen.
In dem Erzählstrang, der in der Gegenwart spielt, mag ich sehr den unnahbaren deutsch-brasilianischen Edelsteingroßhändler Rico da Silva.
Aber ich liebe auch die unkonventionelle, über achtzigjährige Tante Ada in Idar-Oberstein, die im Kopf so jung geblieben ist.
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Die "Rose von Darjeeling" ist keine Rose...
...sondern ein Rhododendron! Richtig. Eine besondere Sorte, die diesen Namen trägt – sie hat Blüten wie aus hauchdünnem Wachs, scheint von innen heraus zu leuchten, duftet zart und besitzt eine ganz eigene Aura. Ein Mann züchtete sie unter abenteuerlichen Umständen und Strapazen über viele Jahre hinweg für seine grosse Liebe. "Die Rose von Darjeeling" verbindet die Schicksale von drei Familien über Generationen hinweg.
Denken Sie sich das alles aus?
Es gibt einige journalistische Arbeiten, von denen ich heute beim Romanschreiben profitiere. Es kommt mir ein bisschen so vor, als könnte ich nun ernten, was ich in verschiedenen Bereichen gemacht und erlebt habe, und es neu zusammengesetzt mit viel Fantasie zu Romanen verarbeiten. Intensive Recherche gehört trotzdem noch dazu, sie macht mir auch großen Spaß.
Wie haben Sie für "Die Rose von Darjeeling" recherchiert?
Ich habe mich an meine Reportagen über Darjeeling und Jersey erinnert (von jeder Reise hatte ich noch einen großen Karton voller Unterlagen unterm Gästebett lagern), außerdem war ich in diversen Bibliotheken und Museen, hab' mir Fachliteratur aus Sikkim schicken lassen, alte Expeditionsberichte studiert und mich viel in Parks und Botanischen Gärten herumgetrieben – was übrigens meine Wahrnehmung von Rhododendren ziemlich stark veränderte.
Was haben Sie in Darjeeling gemacht?
Eine Reportage für ein Feinschmecker-Magazin über Teegärten.
Und warum spielen Ostfriesland und das Ammerland so eine grosse Rolle im Roman?
Also, ich bin ja in Ostfriesland geboren, wo man gleich nach der Muttermilch auf Tee umsteigt, wo jeder Einwohner elfmal so viel Tee trinkt wie der Durchschnittsdeutsche und sich dementsprechend auch jeder für eine begnadete "Teenase" hält. Aufgewachsen bin ich im angrenzenden Ammerland, dem Zentrum der deutschen Rhododendronkultur; die Gegend um das Zwischenahner Meer herum gleicht im Mai einem einzigen Blütenmeer! Es hat mich immer schon fasziniert, dass diese beiden so heimattypischen Kulturgüter, der Tee und die Rhododendren, eigentlich von sehr weit her kommen. Und dass sie beide in der exotischen Ferne dann wieder so nahe beieinander liegen, nämlich ihre wahre Heimat in den Vorgebirgen des Himalaya-Massivs haben.
Es war dann praktisch nur noch eine Frage der Zeit, bis sich (in meiner Fantasie) zwei Freunde auf die Reise dorthin machten: der Teehändler Gustav ter Fehn aus Leer (Ostfriesland) und sein bester Freund Carl Jonas, Spross einer Baumschul-Dynastie aus Westerstede (Ammerland). Dass sich beide in Darjeeling und während ihrer Expedition durch die Rhododendronwälder Sikkims ausgerechnet in dieselbe Frau verlieben, in Kathryn Whitewater, Tochter eines englischen Teegarten-Besitzers, ist schon nicht mehr meine Schuld. Die Geschichte nimmt einfach ihren Lauf... Sie gipfelt in einer Familienfehde, deren Hintergründe erst Jahrzehnte später im Umfeld der "Rhodo", Europas größter Rhododendronschau, aufgedeckt werden – dank der "Rose von Darjeeling".
Müssen Sie eigentlich bei ergreifenden Szenen selber heulen?
Sie stellen Fragen! Aber – ja, es gab einige Stellen, da konnte ich vor Tränen die Buchstaben auf meiner Tastatur kaum mehr erkennen. Ich habe wirklich mit meinen Figuren mitgefühlt und ihr Schicksal mitgelebt... Schliesslich ist ein Roman kein Sachbuch.
Ich hoffe auch, dass die selbst erfahrenen Stimmungen und Atmosphären der Schauplätze rüberkommen und es würde mich sehr glücklich machen, wenn die Leser/innen nach der Lektüre das Gefühl hätten, sie wären auch dort gewesen.
Gibt es eine Frage, die Sie beim Schreiben dieses Romans besonders beschäftigt hat?
Ja, sie lautet: Wie mag es wohl sein, wenn man tatsächlich seine große Liebe gefunden hat und weiss, dieser Mensch lebt, jetzt in diesem Augenblick, verheiratet, in einem anderen Land? Wie verändert es das Denken, Fühlen und Handeln… Tag für Tag, Jahr um Jahr… Wie würden Sie sich verhalten?
Von drei Menschen, denen dieses Schicksal widerfuhr, und die ganz unterschiedlich damit umgingen, handelt "Die Rose von Darjeeling".
Machen Sie auch Lesungen?
Gerne. Ich freue mich riesig und bin besonders gespannt auf die Lesungen und darauf, zu sehen, wie sich die Geschichte auf den Gesichtern der Zuhörer/innen fortsetzt!
Vielleicht trinken wir ja mal eine Tasse Tee zusammen ;-)
Das Kanchenzongamassiv, um 1930 herum von Darjeeling aus gesehen. Unter den Wolken liegt Sikkim, damals noch ein Königreich. Fotos darunter: Eindrücke von einer Expedition durch Sikkim